Der vom Freilassinger Wifo organisierte „Tag der Frau“ wird sicherlich vielen Damen in bester Erinnerung bleiben: herrlicher Sonnenschein, nette Aktionen und Angebote in den Geschäften, ein Glückspilz, der Geschenke verteilte und ein Frühstück mit einem Gast, der schon im Vorfeld für große Aufmerksamkeit sorgte. Eingeladen hatte Wifo-Chefin Anni Klinger nämlich keinen Geringeren als den bekannten Münchner Pfarrer Rainer-Maria Schießler, dessen Mutter aus Freilassing stammt. Mehr als zweihundert Frauen bewarben sich mit Briefen und Postkarten um einen der 16 Plätze beim Frühstück im Cafe Vogg. Wer die Plätze bekam, wurde per Los entschieden. „So viele interessierte Damen hatten wir noch nie, nicht einmal bei anderen Promis wie Paul Breitner oder Michaela Kaniber“, freute sich Anni Klinger.
Rainer-Maria Schießler ist wegen seinen unkonventionellen Aktionen, seinen provozierenden Predigten und seinen mitunter launigen Sprüchen sehr populär. Er hat Bücher geschrieben, eine Talkshow im Bayerischen Fernsehen moderiert, im Oktoberfest bedient und den Verdienst daraus für wohltätige Zwecke gespendet. So mancher nennt ihn „berühmt-berüchtigt“. Dass er außerdem Humor hat und schlagfertig ist, bewies der Pfarrer gleich beim Eintreffen im Café. Als er die Teilnehmerinnen des Frauenfrühstücks sah, lachte er und sagte: „Ja, wo bin ich denn da gelandet? Ich glaube, ich bin beim Bachelor“.
Anni Klinger begrüßte die Frühstücksgesellschaft, zu der auch Bürgermeister Markus Hiebl und 2. Bürgermeister Josef Kapik eingeladen waren. Die Teilnehmerinnen kamen nicht nur aus dem hiesigen Landkreis, sondern auch aus Salzburg und Oberndorf. Die weiteste Anreise hatte eine Dame aus Burgkirchen. Als sich Klinger bei Pfarrer Schießler bedankte, wie sehr sie sich freue, dass er den Weg nach Freilassing gefunden hat, sagte dieser ganz trocken: „Das passt schon, ich hab‘ mir eh gedacht, ich muss mal wieder das Grab richten“.
Nur eine Viertelstunde nahm sich der prominente Gast für sich selbst Zeit, das leckere, von der Firma Max Aicher gesponserte Frühstück zu probieren. Danach legte er los, um in ein paar „Sätzen“, wie er sagte, über seine Beziehung zur Eisenbahnerstadt zu berichten. Aus diesen paar Sätzen wurde schließlich fast eine ganze Stunde, in der er die Runde mit interessanten Begebenheiten aus seiner Familiengeschichte, aus seiner eigenen Biographie, mit Anekdoten und ausführlichen Exkursen über das Leben an sich unterhielt.
Schießler berichtete von seiner von ihm über alles geliebten Mutter (Jahrgang 1916), von ihrer glücklichen Kindheit als Tochter eines Lokführers in Freilassing. Aber auch von schweren Schicksalsschlägen in den Wirren des Krieges und großen Streitigkeiten in der Familie. Wegen ihrer zweiten Heirat im Jahr 1956, so der Pfarrer, sei ein großer Riss durch die Familie gegangen. Den Name der Familie erwähnt er mit keinem Wort. Seine Eltern, der Vater war ein Postbeamter aus Freising, seien wegen des Familienzwists letztendlich nach München gegangen. Freilassing habe die Mutter jedoch immer als ihre Heimat angesehen, hier wollte sie nach ihrem Tod 1981 begraben werden, was sie auch wurde. „Das ist der Grund, warum ich seit vierzig Jahren nach Freilassing fahre“.
Geboren wurde Schießler 1960 in München, er hat einen drei Jahre älteren Bruder. Seine Jugend beschreibt er als eine „Zeit mit vielen Baustellen“. Der Vater, vom Krieg stark traumatisiert, sei sehr streng und distanziert gewesen. Geborgen und wohl fühlte er sich vor allem in seiner Münchner Heimatpfarrei, wo er Ministrant und Jugendgruppenleiter wurde. Um während des Abiturs Ruhe für seine Facharbeit zu finden, ging er für zwei Wochen ins Kapuzinerkloster nach Laufen. Dort, so beschreibt es Schießler, habe er das Gefühl gehabt, angekommen zu sein. Von da an habe er die Kirche als seine Heimat empfunden. Nach einem Jahr Noviziat merkte er jedoch, dass das Klosterleben nichts für ihn ist. Er wollte „rein ins Leben“ und beschloss, Theologie in Salzburg und München zu studieren. Die Priesterweihe fand 1987 im Freisinger Dom statt. Nach diversen Stationen übernahm Schießler 1993 seine erste Stelle als Pfarrer in der Pfarrei St. Maximilian in München. Dort wirkt er bis heute.
Wenn Schießler erzählt, merkt man, welche Leidenschaft er für seinen Beruf hat und wie wichtig ihm die Menschen sind. Für seine klaren Worte, auch im Hinblick auf das Pflichtzölibat, das er ablehnt, hagelt es oft Kritik. Er hat seit vielen Jahren eine feste Partnerin, Gunda sei ein Glücksfall für ihn, betont er. Die Beziehung sei von Anfang an kein Geheimnis gewesen, aber für katholische Pfarrer eben immer noch ein Tabubruch. Aber das kümmert ihn nicht, sein Motto lautet nämlich: „Wir leben nicht für die Fassade“.
Einen weiteren Satz gab er den Teilnehmerinnen des Frühstücks noch mit auf den Nachhauseweg: „Leben gelingt dann, wenn Du es zulässt, wenn Du flexibel bist“. Die applaudierenden Frauen entließen Rainer-Maria Schießler erst, nachdem er einige Exemplare seines Buches „Die Schießler-Bibel“ aus dem Auto geholt und mit persönlichen Widmungen versehen hatte. Auch dafür nahm sich der prominente Gast noch reichlich Zeit.
Text:Kleinert
Einen kurzen Film vom Regional Fernsehen Oberbayern (rfo) finden Sie unter https://www.rfo.de/mediathek/92562